Als Zeichen für Freiheit, Gleichheit und Toleranz lassen sich am 24. Juni die Menschen in Breslau mit Lehm bemalen. Doch die Botschaft geht unter. ![]() Der Salzplatz (Plac Solny) in Breslau: Eimer voller Lehm dazu Pinsel und Spritzpistolen. Aber auch Hochstelzen und überlebensgroße Fahrräder, wie man sie aus dem Zirkus kennt. Menschen mit Lehm auf Haut und Haaren – dazu tragen sie Barockkleider mit passender Perücke oder einfach Bikini. Was aussieht wie eine Kreuzung aus Töpfer-Workshop und Maskenball sind die Vorbereitungen für das „Festival of White“. Zu dem Event mit dem etwas irreführenden Namen hatte Bogdan Nowak aus Bunzlau (Bolesławiec) aufgerufen: „Weiß ist für uns die Synthese aus allen Farben. Wenn wir uns mit Lehm weiß anmalen, machen wir uns bewusst, dass wir alle gleich sind, alle gleich viel wert.“ Nowak erinnert an die Tumulte im November 2015 in Breslau, als öffentlich eine Judenpuppe verbrannt wurde. Dabei schüttelt er ungläubig den kahlen Kopf: „Das Leben ist zu kurz für sowas.“ Mit den Lehmmenschen will er ein Zeichen setzen für Freiheit, Gleichheit und Toleranz. Fotos: Marie Baumgarten Botschaft? Rund 200 Menschen lassen sich auf das Lehm-Experiment ein, wenngleich die wenigsten wissen,welche Botschaft dahinter steht. „Es sieht nach Spaß aus und ich bin neugierig“, sagen die einen. Die anderen sind einfach von den Kostümen beeindruckt: „Ich fühle mich wie in eine andere Zeit versetzt.“ Bei über 30 Grad an diesem Tag wäre der Lehm außerdem angenehm kühlend, beteuern Gäste und Veranstalter. „Spannt nur ein bisschen.“ Das Geheimnis des Lehms Davon mal abgesehen, mineralisiert und belebt der Lehm die Haut ganz nebenbei, in Frankreich beispielsweise ist Lehm als Naturkosmetik zertifiziert. Dieses Schönheitsrezept kennt auch Bogdan Nowak, denn immerhin lebte er zwanzig Jahre in Paris mit einer Kosmetikerin zur Frau. Nach einer ruhmreichen Karriere als Pantomime war Nowak nach Bunzlau zurückgekehrt und schuf die „Gliniada“ – auf deutsch „Lehmparade“. Gleichzietig machte er damit Werbung für seine Heimatstadt Bunzlau – denn die ist bekannt für ihre Porzellankunst. Nicht zufällig kommt deshalb der Lehm für die Parade aus der Bunzlauer Keramikfabrik, die die Lehmmasse nach alter Handwerkskunst mischt und 24 Stunden lang cremig rührt. „Aus der gleichen Lehmmischung stellen sie auch ihre Keramik her“, erzählt Nowak stolz. Weit rum gekommen Mit seiner Lehmparade aus original Bunzlauer Lehm zog er bereits durch Paris, Chicago, Prag, Berlin und Warschau. In diesem Jahr ging es nach Breslau – als Programmpunkt der Europäischen Kulturhauptstadt. Und eine ist von Anfang an dabei: Mama Lehm. „Jedes Mal aufs Neues ist es für mich das befreiendste Gefühl überhaupt!“, sagt die Bunzlauerin, die für die nächsten Stunden ihren bürgerlichen Namen ablegt. Als das Lehm-Make-Over vollbracht ist, zieht die Caravane der Lehmmenschen durch die Breslauer Altstadt – zu Pferd, zu Fuß oder auf dem Zirkus-Rad, vorbei an staunenden Menschentrauben. Karnevalstimmung kommt auf. Tolenranz hat seine Grenzen Vier Stunden später endet das Spektakel – rechtzeitig vor dem Spiel Polen gegen die Schweiz. Auf dem Salzplatz stehen Duschen bereit, um den Lehm abzuwaschen. Doch die Lehmmenschen bevorzugen den Brunnen nebenan – der sieht mit seiner Skulptur in der Mitte viel einladender aus und zum Verschnaufen auf den Rand setzen kann man sich außerdem. Der Stadt dürfte das weniger gefallen – Toleranz hat auch ihre Grenzen. © Marie Baumgarten Marie Baumgarten
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![]() Der Breslauer Ring am Eröffnungswochenende. Es könnte alles so schön sein. Breslau ist Europäisch Kulturhauptstadt und bereit für den großen Touristenansturm. Doch ob der kommt, bleibt fraglich, denn Demos geben dem Großevent einen faden Beigeschmack. Die Fußgängerzone in Breslau – an einer Ecke in einem kleinen Zelt spielen Musiker leichten Swing, an einer anderen Ecke hört man spanische Rhythmen und noch weiter hinten polnische Folklore – die Kulturhauptstadt hat eröffnet. Eine internationale Musikmeile zieht sich bis zum Breslauer Ring, dem Herzen der Stadt. Bei Nacht und Minusgraden tobt hier das Leben. Der Ring ist von allen Seiten erleuchtet. Einheimische und Besucher lauschen den zahlreichen kleinen Musikstationen – einer von ihnen ist Matthias Kenkel aus dem Sauerland, der seit vier Jahren in Breslau lebt. Er schüttelt sich, rubbelt die Oberarme und reibt sich die Hände vor den Lagerfeuern, die neben jedem Musikzelt brennen. „Das ist für Breslau ein große Chance. Ich hoffe, die Stadt nutzt sie“, sagt der 36-Järhige und spielt dabei auf die aktuellen politischen Unruhen an. Zur Erinnerung: Im November 2015 verbrannten Rechtsradikale eine Judenpuppe bei einer antiislamischen Kundgebung auf dem Breslauer Ring. Dort sollte am Samstag vor zwei Wochen erneut eine Demonstration gegen islamische Flüchtlinge stattfinden, diesmal in Kooperation mit Pegida. Einen Tag zuvor wurde das Vorhaben überraschend abgesagt. Nicht zuletzt mobilisiert das Komitee zur Verteidigung der Demokratie immer wieder das Volk zu Protesten gegen den antieuropäischen Kurs der Regierung. Keine gute Werbung für die Kulturhauptstadt, zu deren Ziel gehört, im Sinne der EU das europäische Kulturgut zu pflegen. Wie bezeichnend, dass ausgerechnet das Hauptevent am Eröffnungswochenende den Titel „Erwachen“ trug. Unter der Regie von Performancekünstler Chris Baldwin ziehen vier Karavanen mit über 1300 Künstlern aus vier Himmelsrichtungen bis zum Breslauer Ring, angeführt von den vier Geistern der Innovation, des Wiederaufbaus, des Hochwassers und der vielen Religionen. Auf dem Breslauer Ring schließlich vereinen sich die Geister unter schallendem Glockengeläute – Baldwin wollte die Breslauer wachrütteln. Stadt will Touristenzahlen 2016 verdoppeln Die Organisatoren der Kulturhauptstadt hoffen, dass die Demos in Breslau nicht die Touristen abschrecken. Zumal man in diesem Jahr die Touristenzahlen verdoppeln will. Über dieses ambitionierte Ziel dürfte sich auch die Hotelbranche freuen. Für eine Prognose sei es jedoch noch zu früh, sagt Zbigniew Pasieka, Marketing Manager der Hotels „Polonia“, „Europejska“ und „Piast“. „Im Winter kommen sowieso nicht so viele Gäste. Außerdem hatten wir vom 15. bis 31. Januar die Europäische Meisterschaften im Handball, da hatten wir Gäste aus ganz Europa.“ Für die kommenden Monate zählt Pasieka vor allem auf die Gäste aus Deutschland, Tschechien und Polen, die haben den kürzesten Weg. Pasieka ist zuversichtlich, dass die Kulturhauptstadt halten kann, was sie verspricht und die Touristen trotz politischer Unruhen nicht ausbleiben. Der Februar sehe schon recht vielversprechend aus dank des Konzertes von Komponist Ennio Morricone in der Jahrhunderthalle. „Das ist das wichtigste Ereignis in diesem Monat.“ Der Höhepunkt der ganzen Kulturhauptstadt sei aber im Juni das Konzert des englischen Musikers David Gilmour mit der polnischen Jazzlegende Leszek Możdżer. Das Konzert sei bereits ausgebucht und seine Hotels auch, freut sich Pasieka. Programm-Tipps In Anlehnung an die zweite Kulturhauptstadt in diesem Jahr, San Sebastián, ist noch bis zum 13. März eine Ausstellung des 2002 verstorbenen spanischen Bildhauers Eduardo Chillida zu sehen. Alljährlich stattfindende Festivals wie „Jazz an der Oder“ und „Wratislavia Cantas“ laufen in diesem Jahr unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kulturhauptstadt 2016 und sollen dadurch noch größer ausfallen. Breslau ist außerdem Welt-Buch-Hauptstadt der Weltkulturorganisation Unesco. Im April eröffnet das Pan-Tadeusz-Museum, das sich dem polnischen Nationalepos von Adam Mickiewicz widmet. Darüber hinaus werden im Dezember die Europäischen Filmpreise vergeben. Schon ab September sind hier die für 2016 nominierten Filme sowie preisgekrönte Filme aus den letzten Jahren zu sehen, darunter „Ida“ von Paweł Pawlikow – ausgezeichnet mit dem Europäischen Filmpreis 2014 und dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2015. Den umfangreichen Programmkatalog mit allen Veranstaltungen gibt es hier. Für alle Besucher vor Ort ist erster Anlaufpunkt der Infopoint im Café Barbara in der Altstadt. Hier gibt es Tipps rund um Kunst und Kultur – im Kulturhauptstadtjahr 2016. Marie Baumgarten Große Aufregung herrscht um Polen. Die nationalkonservative Regierung Recht und Gerechtigkeit (PiS) erhitzt mit ihrem politischen Kurs die Gemüter. Seit Dezember mobilisiert das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) Regierungsgegner zu Protesten – zuletzt wegen des sog. Überwachungsgesetzes, das am 07. Februar in Kraft tritt. Auf der anderen Seite ist die polnische Stadt Breslau in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt und wirbt für Weltoffenheit. Zwei Welten prallen aufeinander. AUDIO Foto: By Jfailla2 - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34050826 Doch nicht nur das Komitee zum Schutz der Demokratie stellt die Europäische Kulturhauptstadt in den Schatten - zuletzt macht das Land mit der polnischen PEGIDA-Bewegung und einem Referendum gegen die Aufnahme islamischer Flüchtlinge auf sich aufmerksam. Um Polen wird es so schnell nicht still werden EINDRÜCKE VOM ERÖFFNUNGSWOCHENENDE 15.-17.01.2016: internationale Musikmeile und das Theaterspektakel "Erwachen" Marie Baumgarten ![]() 2016 ist Zeit und Raum, um über die Metamorphose Breslaus zu sprechen – das sagen die Veranstalter des wohl größten Kulturprojektes, das die Stadt je erlebt hat. Denn das geschichtsträchtige Breslau ist Kulturhauptstadt 2016. Mitten in Breslaus historischer Altstadt steht seit Kurzem ein gläsernes Gebäude mit gewöhnungsbedürftigem Innendekor in sterilem Weiß und betont geschäftiger Atmosphäre. Café Barbara heißt dieser Ort, ein Art Restaurant-Büro-Mix. Von hieraus koordiniert Magdalena Babiszweska die Projekte zur europäischen Kulturhauptsatdt. "Im Rahmen der Kulturhauptstadt haben passiert hier eine Menge, wir haben 300 Projekte und über 1000 Veranstaltungen." Das Breslauer Rathaus. Foto: privat. Eines dieser Projekte hat der schlesische Filmemacher Ronald Urbanczyk angemeldet, der zu Breslau eine ganz besondere Verbindung hat: "Mein Opa ist hier Opernsänger gewesen. Deshalb hat Breslau für mich einen besondere Charakter und ich wollte mich engagieren." Das Breslauer Rathaus. Foto: privat. Die Idee von Ronald Urbanczyk ist es, eine Lichtinstallation auf dem Dach des Breslauer Rathauses aufzubauen und von dort oben die Geschichte des Rathauses und der Stadt zu zeigen. "Alles, was das Rathaus in den letzten Jahrhunderten und –zehnten betrifft, hab ich gesammelt. Und ich würd gern die Bilder auf das Rathaus selbst projizieren mit Interviews von Deutschen, Polen und Juden, weil Deutsche, Polen und Juden das Stadtbild geprägt haben," sagt Urbanczyk. Die wechselhafte Geschichte Breslaus, die er damit anspricht, ist auch Thema der Eröffnungsveranstaltung vom 15. bis 17. Januar. In der theatralen Performance "Erwachen" verkörpern vier Geister die Stadt Breslau, erklärt Magdalena Babiszewska: "Der erste Geist berichtet vom Wiederaufbau nach der Verwüstung durch den zweiten Weltkrieg, der zweite Geist verkörpert die Religionsvielfalt und die Multikulturalität vor dem zweiten Weltkrieg, die anderen Geister zeigen das moderne Breslau". Und das modere Breslau hat einiges zu bieten. Das kommende Jahr ist die Gelegenheit, die Stadt von ihrer schönsten Seite kennenzulernen. Erster Anlaufpunkt für alle Besucher: das Café Barbara. Neben Kaffe und Kuchen gibt es hier wertvolle Tipps zu Kunst und Kultur, traditionell oder modern - im Kulturhauptstadtjahr 2016. Marie Baumgarten |
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Juli 2016
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