Es war die inoffizielle Hymne der Hippie-Jugend in Polen – das Lied „Dziwny jest ten Swiat“, auf deutsch "Eigenartig ist diese Welt", von Czesław Niemen. Der Kultsong feiert in diesem Jahr nicht nur sein 50. Jubiläum, sondern ist heute so aktuell wie damals. „Eigenartig ist diese Welt/ wo immer noch/ Platz für so viel Schlechtes ist/ Eigenartig, dass seit Jahren schon/ Verachtung unter den Menschen herrscht./ Doch die guten Menschen sind in der Überzahl/ und ich glaub fest daran/ dass dank ihnen/ die Welt niemals untergeht.“ Ein Song, der den Nerv der Zeit trifft und in Polen zum Kultsong der späten 60er Jahre wird. Jarosław Wasik, Direktor des Museums des polnischen liedes in Oppeln (Opole). Es ist höchste Zeit gut zu sein, Und diese Zeit dauert seit 50 Jahren an. Genau das ist die Botschaft. Seien wir gut zu unseren Mitmenschen. Damit sich unserentwegen andere nicht schlecht fühlen.Strecken wir anderen die hand. Viele große polnische Künstler haben sich an diesem Song versucht. Doch das Original bleibt unerreicht. Keiner schmettert die Zeilen so umwerfend nachdrücklich wie Sänger Czeslaw Niemen, der sie geschrieben hat. Jarosław Wasik: Eine ganz gewisse Kraft haben haeufig Eigenkompositionen. Weil der Interpret sich dann zu 100 Prozent mit dem indentifieziert, was er geschrieben hat. Er muss keine Maske aufsetzen oder etwas vortäuschen. Er singt mit seinen eigenen Wort, aus ganzem herzen und ganzer Seele. Und genau das war der Schlüssel zum Erfolg. Wir schreiben das Jahr 1967. Es ist Sommer und Czeslaw Niemen kommt in die schlesische Stadt Oppeln, um beim „Landesfestival des polnischen Liedes“ seinen neuen Song erstmals einem Publikum zu präsentieren. Eine wichtige Sache, denn wer bei dem Festival auftreten darf, gehört schon bald zu den großen Stars. Es gibt wenige polnische Musikstars, die nicht mit Oppeln verbunden sind. Oppeln war soetwas wie eine heilige Musikbranche. Wer nach oppeln kam, wurde zum Star. So Jarosław Wasik. Czeslaw Niemen hatte sich damals zwar schon einen Namen gemacht und war bereits zuvor bei dem Festival in Oppeln mit anderen Werken aufgetreten. Doch erst der Song Dziwny jest ten swiat verhilft ihn zum absoluten Durchbruch. Niemen hat viele grossartige Lieder geschrieben. Aber trotzdem: bei dem Namen Niemen denkt man immer zu erst an dziwny jest ten swiat. Einer, der den Erfolg des Songs vorausahnt, ist Komponist Edward Spyrka. Er saß vor genau 50 Jahren beim Festival in der Jury. Mir hat gefallen, dass das Lied so anders war. Allen das Intro der Orgeln. Er war anders als alles andere. Das Lied ist eines der wichtigsten und interessantesten Werke in der polnischen Unterhaltungsmsik. Am Ende des Fstivals wird Niemen mit dem Sonderpreis des damaligen Veranstalters „Polskie Radio“ ausgezeichnet. Er wird über Nacht zur Musiklegende und bleibt es bis heute. Umfrage: Es sind kluge Worte, sie passen zu jeder Jahreszeit. Die Welt ist nunmal eigenartig. Das Lied beschriebt die Rivalitaet der Menschen untereinander. Alles dreht sich um Geld. Jeder kann das Lied auf eigene Weise interpretieren. Das Lied ist sehr schoen. Und real. Wenn sich die Leute an die Worte im Lied halten wuerde, sehe unser Leben anders aus. Es ist ein Kultsong, der bleibt. Ein Song, mit einer Botschaft, die bleibt, sagen die Menschen auf den Straßen von Oppeln. Ein Grund, warum er in Polen noch immer zu den beliebtesten Songs gehört. Jarosław Wasik: Es ist noch gar nicht so lange her, da hat das dritte Programm des polnischen Radios, Trojka, eine Umfrage gestartet. Es ging um lieder aus dem In- und Ausland aus drei Jahrzehnten. Da war Niemen auch ganz weit vorn. Er ist zwar schon lange nicht mehr unter uns, aber seine Lieder leben weiter. Der Song Dziwny jest ten swiat – er wird immer auch mit der Stadt Oppeln und dem „Landesfestival des polnischen Liedes“ verbunden bleiben, sagt Wasik, wo ihn Künstler immer wieder neu interpretieren. Darunter auch Tochter Natalia Niemen. Neben ihr singen bei ihrem Auftritt in Oppeln 2014 zahlreiche polnische Nachwuchskünstler die bekanntesten Hits von Niemen – Die Veranstalter nannten das Motto: Debuts mit Niemen. Die Welt geht dank ihnen niemals unter. Das Festival gilt als eine der wichtigsten Veranstaltungen im Land. Erstmals wird es 1963 veranstaltet und nur ein Mal 1982 während der Verhängung des Kriegsrechts unterbrochen. Nach Streitigkeiten zwischen den Künstlern, dem Veranstalter TVP und der Stadt Oppeln ist in diesem Jahr das für Juni geplante Festival in Oppeln seitdem erstmals abgesagt worden. Dem staatlichen Sender TVP wurden Zensurversuche vorgeworfen, woraufhin mehrere Dutzend Musiker ihren Auftritt absagen. Edward Spyrka: Niemen hatte seine eigenen Ansichten und hätte seinen Auftritt wahrscheinlich auch abgesagt. Mittlerweile wurde der Streit aber beigelegt. Das Festival soll nun voraussichtlich im Frühherbst in Oppeln stattfinden. Das Programm steht zwar noch nicht, doch gut möglich, dass auch in diesem Jahr der Kultsong des 2004 verstorbenen Niemen daran erneut einen Platz findet. Marie Baumgarten DAS AUDIO ZUM TEXT GIBT ES HIER. Mein herzlichster Dank geht an Ryszard Łabus, dem Autor der Fotos von Niemen, für die Erlaubnis, sie hier zu veröffentlichen.
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Am dritten Mai feiert Polen die erste moderne Verfassung Europas. Viele Menschen freuen sich aber vor allem auf ein langes Wochenende. Impressionen aus Oppeln (Opole) Der dritte Mai ist in Polen ein besonderer Tag. Überall im Land durchziehen die rot-weißen Fahnen ganze Straßenzüge. Viele Städte erinnern mit Kranzniederlegungen und einer heiligen Messe an die Verfassung vom dritten Mai 1791. Die erste moderne Verfassung Europas. Schluss mit dem Liberum Veto und der Leibeigenschaft, stattdessen gab es Gewaltenteilung und Pluralismus. Die Verfassung sollte alles, was bisher war, auf den Kopf stellen, erklärt Historikerin Katarzyna Kuras von der Jagiellonen-Universität in Krakau. „Die Gewaltenteilung ist heute Teil eines jeden modernen Staates. Doch damals war Polen eine Monarchie, das war etwas absolut Neues. Die Verfassung vom dritten Mai hat mit allen Konventionen gebrochen.“ Damit brachte Polen die fortschrittlichste Verfassung Europas auf den Weg und war sogar Frankreich zuvorgekommen. Während Polen damals als erster den Schritt in Richtung Demokratie machte, sehen heute Regierungskritiker im In- und Ausland die Demokratie in Polen gefährdet. Historisch betrachtet, meint Katarzyna Kuras, habe Polen schon immer einen Hang zu schwierigen Wahlen gehabt. Dem Fortschritt der damaligen Verfassung wurde aber bald ein jähes Ende gesetzt. Preußen und Russland fürchteten ein Erstarken des polnischen Staates und führten die zweite polnische Teilung herbei. Trotzdem oder gerade deshalb ist der dritte Mai in Polen heute Nationalfeiertag. Katarzyna Kuras: „Wir Polen sind stolz darauf, dass es gerade uns gelungen ist, als erste diese Verfassung zu verabschieden, noch dazu, wo sie so innovativ und revolutionär war.“ Viele Menschen freuen sich Anfang Mai aber vor allem auf ein paar freie Tage mit der Familie und Freunden. Die freie Zeit vom ersten bis dritten Mai hat sogar eine eigene Bezeichnung: Majowka, wörtlich übersetzt Picknick. Viele schmieden Pläne, wie eine Umfrage in der Woiwodschaft Oppeln zeigt: „Es hängt davon ab, wie das Wetter ist und ob man mit Freunden ein Picknick machen kann oder zu Hause bleiben muss. Meistens bemühe ich mich, etwas zu besichtigen oder aufs Land zu fahren.“ „Wir Grillen und genießen die Zeit.“ „Wir machen mit der Familie einen Ausflug oder schauen uns im Fernsehen an, wie andere feiern.“ In der polnischen Hauptstadt dagegen wird am dritten Mai zum 27. Mal mit einem fünf Kilometer langen Lauf an die Verfassung erinnert. In Stettin gab es kurz vor dem langen Wochenende sogar eine echte Sensation: Das Original der Verfassung aus dem Jahr 1791 ist seit dem 21. April im Westpommerschen Woiwodschaftsamt Stettin ausgestellt. Das Exponat im Wert von 15 Millionen Zloty hat das Hauptarchiv für Altakten in Warschau zugänglich gemacht. Besucher können es noch bis zum vierten Mai in der Zeit zwischen 10.00 und 18.00 Uhr besichtigen. Polen hat übrigens einen zweiten Nationalfeiertag. Am 11. November feiert das Land den Tag der Unabhängigkeit. Marie Baumgarten ![]() So viel wie ein A4-Blatt. Die Stadtkarte, die deutsche Spuren in Breslau illustriert, passt in jede Hosentasche. Sie ist kostenfrei bei der DSKG Breslau erhältlich. Foto: DSKG Wenn der Putz bröckelt, blitzen an den alten Häuserwänden in Breslau die deutschen Schriften hervor. Die Vergangenheit der niederschlesischen Hauptstadt ist allgegenwärtig. Jetzt gibt es eine Stadtkarte, die die deutschen Spuren im heutigen Wrocław illustriert. Wenn man etwas übers Breslaus wechselhafte Geschichte erfahren will, brauche man nur nach oben und unten zu schauen, sagt Maciek Wlazło: „Auf den Hauswänden entdeckt man verblasste deutsche Schriften, auf den Gehwegen Gullydeckel mit deutscher Aufschrift.“ Nach 1945 wurde aus Breslau die polnische Stadt Wrocław. Doch die deutsche Vergangenheit der niederschlesischen Metropole ist noch immer vielerorts sichtbar. Besonders in Nadodrze, dem Viertel, das Intellektuelle gern das Berlin-Kreuzberg von Breslau nennen. Hipp und mit vielen Cafés. Wlazło ist fasziniert von den Relikten aus deutschen Zeiten und hat einen virtuellen Stadtführer entworfen. Die Internetseite „Beard of Breslau“ illustriert die deutschen Spuren, die Einheimischen und Besuchern auf den ersten Blick verborgen bleiben. Das Interesse ist groß, seine Facebook-Seite hat über 6000 Follower. Einer von ihnen ist ifa-Kulturmanager Ruben Gallé. Wlazłos Projekt hat ihn begeistert und auf eine Idee gebracht: Aus dem virtuellen Stadtrundgang sollte ein echter werden. Gemeinsam haben Ruben Gallé und Maciek Wlazło die Stadtkarte „Außergewöhnlicher Spaziergang auf den deutschen Spuren in Breslau“ entworfen – mit 26 Stationen. Allein sechs davon befinden sich in der ulica Rydygiera in Nadodrze: Schilder, die auf deutsch den Wasserzugang anzeigen, einen bildhauerisch gestalteten Hauseingang aus der Vorkriegszeit, eine Straßenkappe sowie mehrere Inschriften. Und ein Turm, der die Himmelsrichtungen in deutscher Sprache anzeigt. Das Lieblingsstück von Gallé: „Weil er eigentlich gar nicht ins Auge fällt. Da muss schon ein Kenner darauf aufmerksam machen.“ Die Erläuterungen zu den Stationen sind zweisprachig auf deutsch und polnisch. „Die Karte ist dazu da, um auf eigene Faust auf Entdeckungstour zu gehen“, sagt Gallé. Man könne aber auch einen geführten Rundgang buchen, räumt er ein. Anfragen senden Interessierte an [email protected]. Stadtführerin Renata Bardzik-Milosz bietet als einzige die Führung auf deutschen Spuren an. Die Stadtkarte ist zeitweilig an der Touristen-Information Breslau erhältlich sowie im Sitz der Deutschen Sozialkulturellen Gesellschaft Breslau (DSKG), ulica Saperów 12. Eine Zusendung per Post ist ebenfalls möglich, dazu senden Sie bitte eine E-Mail an [email protected]. Wer sich in Breslau auf deutsche Spuren begeben will, sollte sich beeilen. Denn werden die alten Fassaden saniert, sind die historischen Relikte unwiderbringlich verloren. Marie Baumgarten Proteste gegen Schulreform Kommt der Euro? Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union kommt das Thema Währungsumstellung immer wieder auf. Mehrmals wurden schon konkrete Termine für die Umstellung auf den Euro anvisiert, aber immer wieder aufgeschoben. Jetzt kommt ein neuer Anstoß seitens der oppositionellen Partei „Nowoczesna“. Der Parteivorsitzende Ryszard Petru will darüber eine Debatte eröffnen. Seiner Meinung nach müsse der Euro die Landeswährung ablösen, wenn Polen in die erste Liga aufsteigen wolle. Ryszard Petru kritisierte außerdem die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) für ihre politischen Maßnahmen, wodurch Polen nur in der dritten Liga spiele. Polen solle sich mit Europa einigen, sagte der Parteivorsitzende. Protest gegen Schulreform Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat seit den Wahlen 2015 in Polen einiges auf den Kopf gestellt. Nun will sie das Bildungssystem reformieren - doch viele Eltern sind skeptisch. Die polnischen Gymnasien (weiterführende Schulen für die Klassenstufen 7-9) sollen aufgelöst und die Dauer der Grundschulen auf acht Jahre ausgeweitet werden. Viele Eltern haben Angst, dass die Reform eine Überfüllung der Schulen nach sich zieht, weil mehrere Jahrgänge zusammengewürfelt würden. Aus Protest haben die Eltern in mehreren Ortschaften in Polen ihre Kinder am vergangenen Freitag nicht zur Schule geschickt. Dieser Protest ist nicht der erste. Schon vor einigen Monaten gingen die Eltern auf die Straßen. Weitere Proteste sind bereits angekündigt. Der Beschluss der Regierung gilt allerdings als unumstößlich. notiert von Mariusz Wiesiolek Quellen: http://www.pap.pl/aktualnosci/news,860729,nowoczesna-chce-rozpoczac-debate-na-temat-wprowadzenia-euro.html http://www.newsweek.pl/polska/spoleczenstwo/ogolnopolski-protest-rodzicow-przeciwko-reformie-edukacji,artykuly,406672,1.html http://www.pap.pl/aktualnosci/news,710999,protest-nauczycieli-i-rodzicow-przeciwko-likwidacji-gimnazjow.html Tusks Wiederwahl als Präsident des Europäischen Rates![]() Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf ist ein weltbekanntes Zitat. Der Pole ist dem Polen ein Wolf könnte eine passende Zusammenfassung dessen sein, was momentan auf politischer Ebene in Europa zu sehen ist. Donald Tusk, 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens, wurde als Präsident des Europäischen Rates für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Obwohl die polnische Fußballmannschaft in der letzten Zeit auf den Fußballfeldern von Erfolg zu Erfolg eilt, scheint die konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Partei Prawo i Sprawiedliwość, PiS) sich ein Eigentor zu schießen. Donald Tusk hat nämlich das Spiel um die Wiederwahl nur mit seinem Heimatland verloren. Die polnische Regierung war die einzige keifende Stimme von 28 Ländern, die sich nicht für Tusks Kandidatur eingesetzt hat. Zwar ist Tusk der Partei PiS ein Dorn im Auge, doch genießt der wiedergewählte Präsident Vertrauen und Anerkennung der Unionsführer anderer Länder, vor allem bei Angela Merkel. Beata Szydło, die Ministerpräsidentin zeigt sich empört und beleidigt. Ebenso der Partei-Vorsitzende Jarosław Kaczyński, vehementer Gegner des liberalen Tusk: „Schlimm, dass es so gekommen ist“, so Kaczyński. Für ihn ist Tusk ein Vaterlandsverräter, der seine Autorität und Stelle missbrauche, um die Rechte Polens zu verletzen. Tusk solle sich nicht mehr mit der polnischen Fahne blicken lassen. Vor einigen Tagen hatte PiS den polnischen Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski als Gegenkandidaten für das Amt aufgestellt, um die Wiederwahl von Tusk zu verhindern. Jetzt wird über einen POLEXIT gesprochen. Der wiedergewählte Tusk hat sich für das Daumendrücken und die Unterstützung, sowie für Solidarität und Einigkeit bedankt. Er sagte allen EU-Mitgliedsstaaten gute Zusammenarbeit zu. Tusk hat auch versprochen, dass er sein bestmögliches tun werde, um Europa voranzubringen. notiert von Mariusz Wiesiołek Quellen: http://wyborcza.pl/relacje/14,126862,21474028.html http://www.tvn24.pl/reelekcja-tuska-kaczynski-nie-zachowal-lojalnosci,722091,s.html http://wiadomosci.onet.pl/swiat/donald-tusk-ponownie-wybrany-szefem-rady-europejskiej/smnvbb3 Lubowitz/ Küstrin: Zeitzeugen erinnern sich an verschwundene Orte in ihrer Heimat/ Berlin zeigt Ausstellung bis Januar 2017 ![]() In den Gebieten, die bis zur Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges von Deutschen besiedelt waren, befinden sich zahlreiche Orte, wo heute keine Menschen mehr leben. Viele der Ortschaften wurden extrem zerstört, sie waren dem kommunistischen Regime ein Dorn im Auge – so wie Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) und Lubowitz (Łubowice). Verrottete Fensterrahmen, rußige Ziegelsteine, der Boden von Wildwuchs überwuchert. Beim Bombardement durch die sowjetische Artillerie wurde der Gebäudekomplex völlig zerstört und brannte bis auf die Außenmauern nieder. Danach wurde er über Jahrzehnte der Witterung und dem Verfall überlassen. Nur eine Ruine ist jetzt noch übrig von dem einstigen Schloss in Lubowitz (Łubowice), in dem der Dichter Joseph von Eichendorff zur Welt kam. Betreten verboten - Blasius Hanczuch wagt es trotzdem. Er zeigt auf eine Ecke: „Hier hat er gestanden.“ Hanczuch meint einen alten Kartoffelschober, den er entdeckte, als er 1945 als Deutscher in Polen mit seinem Bruder vor der Roten Armee flüchtet und Unterschlupf im Schloss sucht. „Er hat uns vor dem Hungertod gerettet.“ Die Brüder machten ein Feuer, über dem sie die Kartoffeln kochten und mit anderen Kindern teilten. Für Hanczuch haben der Dichterfürst und dessen Schloss deshalb eine besondere Bedeutung, weshalb er sich seit Jahren im Eichendorff-Verein engagiert, der sich um das kulturelle Erbe rund um den in Schlesien so verehrten deutschen Dichter kümmert. Der Eichendorff-Verein entstand nach der Wende, als die Deutschen in Polen als nationale Minderheit anerkannt wurden und sich in politischen Strukturen und Verbänden organisierten. 1990 sorgte der Eichendorff-Verein in einer ersten Amtshandlung dafür, dass im schlesischen Ratibor (Racibórz) die nach dem Krieg verschwundene Eichendorff-Statue wiederaufgestellt wird – ein Nachbau zwar, da die Figur wahrscheinlich eingeschmolzen wurde, aber der Sockel ist das Original aus dem Jahr 1909. Blasius Hanczuch hatte auf eigene Faust nach dem Sockel gegraben – und wurde fündig nur wenige Meter entfernt von der Stelle, wo die Statue einst stand und auch heute wieder zu finden ist. Zwei mal wurde die Figur mutwillig mit rote-weißer Farbe begossen. Doch mittlerweile sei Eichendorff für Ratibor, was der Eiffelturm für Paris, sagt Hanczuch. Fast zehn Jahre danach entstand ein Eichendorff-Begegnungzentrum mit Sitz in Lubowitz, das sich zum Ziel gesetzt hat, auch das zerfallene Schloss wiederaufzubauen. Der Verein der Geschichte Küstrins (Kostrzyn) will das für die polnische Stadt an der Oder nicht. Die Küstriner Altstadt ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine Wüstung. „Und das soll auch so bleiben als Mahnmal des Krieges“, sagt Vereinsmitglied Horst Herrmann, der in Küstrin aufwuchs. Ein Wiederaufbau ist auch deshalb nicht möglich, weil das Gebiet noch immer vermint ist. Nach dem Krieg wurden Teile der Trümmer für den Wiederaufbau Warschaus verwendet, der Rest wurde in der 60ern endgültig dem Erdboden gleichgemacht. Erst in den 1990er Jahren ließ die Stadtverwaltung die zerstörte Altstadt von Trümmerresten räumen, nur das historische Straßenpflaster und die Bürgersteige sind erhalten. Dafür wurden Straßenschilder mit den alten deutschen Namen wiederaufgestellt. In der Schulstraße lebte vor dem Krieg Horst Herrmann – von seinem Elternhaus zeugen letzte Mauersteine. Hier verweilt er einen Moment. „Hausummer 50. Hier spielte sich meine gesamte Kindheit ab“, erinnert sich der 85-Jährige. Der Weg zur Schule war kurz, nur 200 Meter die Straße runter, aber er war lang genug für Jungenstreiche. „Dem Uhrmacher Schlott haben wir Holdunderbeeren mit dem Pusterohr gegen die Ladenscheibe gespuckt. Der war wütend! Aber als der kam, waren wir längst weg.“ Dann weist Herrmann mit einem Fingerzeig zur rechten Seite: „Dort gab es viele jüdische Geschäfte. In der Progromnacht sind alle Scheiben zerschellt.“ Auch unbequeme Erinnerunegn gehören dazu. Horst Herrmann lebt heute in Frankfurt/Oder. Oft kommt er nach Küstrin, das nur eine halbe Autostunde entfernt ist. Dann läuft er die vertrauten Wege ab, erbaut im Geiste die Stadt, wie er sie aus Kindertagen kannte. Heimweh hat dabei nicht, ist längst Deutschland sein neues Zuhause geworden. Auch ein Besuch der Neustadt gehört dazu, die wieder aufgebaut wurde. „Ist schön geworden mit den bunten Häuserwänden“, freut sich Herrmann. Die Altstadt könne aber ruhig so bleiben wie sie ist – als Manhmal von Krieg und Flucht, meint er. Eine Ausstellung mit dem Titel „Verschwunden – Orte, die es nicht mehr gibt“ wird noch bis zum 08. Januar 2017 im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden 3 gezeigt. Sie ist von Montag bis Mittwoch zwischen 10 und 18 Uhr und von Donnerstag bis Sonntag zwischen 12 und 20 Uhr für Besucher geöffnet. Impressionen von der Ausstellungseröffnung am 09. November 2016 Marie Baumgarten ![]() Zur Bearbeitung hier klicken ![]() Eine neue Filmreihe über 1000 Jahre deutsch-polnische Beziehungen ist in diesem Jahr entstanden – sie will die positiven Aspekte der Geschichte beider Nachbarn in den Vordergrund rücken. An dem Projekt war als Produzent und Regisseur der aus Schlesien stammende Andrzej Klamt beteiligt. Herr Klamt, in Co-Produktion mit den Medienhäusern TVN auf polnischer Seite und ZDF sowie 3Sat auf deutscher haben Sie einen Vierteiler über 1000 Jahre deutsch-polnischer Geschichte aus dem Boden gestampft. Das klingt nach einem Riesenprojekt Das war es auch! Wir hatten eine Produktionszeit von zwei Jahren mit einem Team von über 100 Mitarbeitern aus Polen und Deutschland. Die Dreharbeiten waren höchst komplex: Wir mischen Dokumentarszenen mit Spielfilmszenen. Auch logistisch war es eine Herausforderung, denn wir haben an allen nur denkbaren Orte gedreht, die in der deutsch-polnischen Beziehung ein Rolle gespielt haben wie Hambach, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Kreisau, Gnesen, Danzig, Breslau und Warschau, um die wichtigsten zu nennen. Herausgekommen sind 180 Minuten deutsch-polnische Geschichte. Hört sich viel an, aber kann man in dieser Zeit wirklich 1000 Jahre beleuchten ohne nur an der Oberfläche zu kratzen? Wir konnten natürlich nicht auf alle Ereignisse der letzten 1000 Jahren eingehen. Wir sehen es als einen Versuch, das Wichtigste so darzustellen, dass es zum Nachdenken anregt und berührt. Ob uns das gelungen ist, wird der Zuschauer entscheiden. Im Jahr 2002 hat der RBB ebenfalls einen Vierteiler mit dem Titel "Deutsche und Polen" ins Fernsehen gebracht. Knüpfen Sie daran an? Unsere Absicht war es, aus anderer Perspektive auf die deutsch-polnische Geschichte zu schauen. Allzu oft konzentrieren sich Filmemacher auf die schwierige Zeit der Besetzung und des Zweiten Weltkrieges, der die nachbarschaftlichen Beziehungen schwer belastet hat. Die fruchtbringenden Zeiten zwischen Polen und Deutschen kommen häufig zu kurz, das finden wir schade und wollten deshalb die positiven Aspekte in den Vordergrund rücken. So zum Beispiel die Zeit der sogenannten Polenbegeisterung. Nach dem niedergeschlagenen Novemberaufstand 1832 ist die polnische Intelligenz in den Westen emigriert, die meisten nach Frankreich. Auf ihrem Weg durch die deutschen Länder wurden sie dort auf das Herzlichste empfangen und aufgenommen. Die deutschen Dichter widmeten ihnen Gedichte und Lieder – das deutsche Volk ließ sich von der polnischen Romantik anstecken. Sie drehen seit vielen Jahren Filme im deutsch-polnischen Kontext und das nicht zufällig. Sie stammen aus dem oberschlesischen Beuthen (Bytom) und sind als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, tragen zwei Kulturen in sich. Was bedeutet Ihnen dieses Projekt? Für mich ist Filmemachen eine Berufung, darum mache ich nur Filme, die mich interessieren und die ich wichtig finde. Deshalb bin ich bei jedem Film mit Leidenschaft dabei. Aber ich kann durchaus behaupten, dieser ist die Krönung meiner Arbeit. Deutsche und Polen – wohin führt der Weg? Es ist für beide Länder wichtig zu begreifen, dass wir miteinander gehen müssen, dass wir gar keine Alternative haben. Es ist eine Lehre aus der Geschichte: Wenn Deutschland und Polen miteinander kooperieren, schaffen sie gemeinsam etwas Gutes. Und etwas Schlechtes, wenn sie sich voneinander abwenden. Vielen Dank für das Gespräch, „Die Deutschen und die Polen – Geschichte einer Nachbarschaft“ – Die ersten drei Teile kann man in der 3-Sat-Mediathek ansehen. Teil IV zeigt das ZDF am 18. Dezember 2016 um 23.30 Uhr. Der polnische Partner TVN zeigt die Filme ebenfalls im Dezember. Mehr dazu gibt es unter www.deutsche-polen.eu. Marie Baumgarten Fotos: Marie Baumgarten Wenn die Friedhöfe in Polen ein Mal im Jahr in einem Lichtermeer versinken und zu einem Ort der Begegnung werden, dann begeht das Land Allerheiligen – eine Tradition, an der viele junge Menschen noch immer festhalten. Foto: Wikipedia
An Allerheiligen ist ganz Polen auf den Beinen – das bedeutet überfüllte Straßen und Gedränge an den Ein- und Ausgängen der Friedhöfe. Da brauche man manchmal Nerven aus Stahl, sagt Pawel Ratuszny aus Oppeln in Schlesien. Doch hat man es erst mal geschafft, sich zu den Gräbern durchzukämpfen, sei die Stimmung überwältigend. „Wir sind eine ganze Gruppe und gehen gemeinsam von Grab zu Grab, erst zu meinen Verwandten, dann zu den anderen, wir beten und zünden Kerzen an. Dann geht es weiter. Oft trifft man an einem Grab Menschen, die man schon 1-2 Jahre nicht gesehen hat. Dann plaudert man,es ist wirklich nett. Und wenn es dunkel ist, sehen die Lichter wunderschön aus.“ Mit einem Rucksack voller Kerzen und bequemen Schuhen an den Füßen will der 31-Jährige heute so viele Gräber abgrasen wie nur möglich. Mit dabei ist auch die 15-jährige Karolina Pawlik – beten und sich vor dem Grab bekreuzigen so wie Pawel, damit hat sie nichts am Hut. Trotzdem: an Allerheiligen zu Hause bleiben kommt für Karolina nicht in Frage. „Aus Tradition und Achtung vor den Verstorbenen besuche ich die Friedhöfe. Schließlich stirbt jeder einmal und dann gedenkt man seiner Seele. Das ist etwas ganz Normales, das ist nicht traurig – eigentlich geht es fröhlich zu.“ Allerheiligen ist in Polen ein gesetzlicher Feiertag. Diesen auf dem Friedhof zu verbringen sein einfach ein Muss, sagt die 18-jährige Agnieszka Rotton. „Es ist eben Allerheiligen – der eine Tag im Jahr, an dem man alle Gräber besucht. Und so wird es wohl auch in Zukunft bleiben. Das sehe ich bei meinen älteren Brüdern. Sie gehen mit ihren Kindern jedes Jahr und so wird es bei mir sicher auch sein.“ Noch einige Tage werden die Kerzen auf den Gräbern brennen. Dann heißt es groß sauber machen, damit die Gräber auch beim nächsten Familienfest wieder im hellen Glanze strahlen. Marie Baumgarten ![]() Mit einer Sonderfahrt von Berlin nach Breslau (Wrocław) am vergangenen Samstag (16. Juli 2016) setzten sich Politiker sowie Initiativen aus Polen und Deutschland für eine schnelle Direktverbindung zwischen beiden Städten ein. Diese könne allerdings erst 2020 realisiert werden, doch die einzige Direktverbindung wird bereits diesen Oktober aus dem Fahrplan gestrichen. © Marie Baumgarten SPD-Politiker hatten den Sonderzug „Ferdinand Lasalle“ gemietet, um Druck auf den Bund für neue Verbindungen nach Polen auszuüben. Bei der Testfahrt am Samstag legte er die Strecke Berlin – Cottbus – Görlitz – Breslau in knapp 225 Minuten zurück – Rekordzeit! Zur Zeit verkehrt von Berlin nach Breslau an Wochenenden ein Regionalexpress über Cottbus und Forst für Besucher der Europäischen Kulturhauptstadt. 7.000 Passagiere in zwei Monaten Doch die Verbindung wurde vertraglich nur von Mai bis September 2016 gesichert und wird ab Oktober aus dem Fahrplan gestrichen – obwohl der Bedarf da ist: Über 7.000 Passagiere haben die Verbindung in ersten beiden Monaten genutzt. Das Ziel für den Jahresfahrplan 2018/2019 heißt deshalb: Eine neue Direktverbindung muss her. Mehr noch: angestrebt wird eine Fahrtzeit von unter drei Stunden und der Zug soll nicht nur bis Breslau rollen, sondern darüber hinaus bis Oppeln (Opole) und Krakau (Kraków). Normalität soll einkehren Andreas Geisel, Senator für Verkehr (SPD): „Es ist wichtig für die deutsch-polnische Nachbarschaft, sich schnell besuchen zu können. Wir wollen deshalb Normalität bei den Zuverbindungen einkehren lassen. Wir haben uns bei dem deutsch-polnischen Bahngipfel und der Bundesregierung mehrfach intensiv dafür eingesetzt.“ Bemühungen gibt es auch auf polnischer Seite: „Ich habe die Zustimmung des für den Transport zuständigen Marschalls, dass Niederschlesien eine schnelle Verbindung nach Berlin unterstützen will“, erklärt Marek Dyduch vor der Breslauer Linken SLD und Vorsitzender des Vereins „Oder-Partnerschaft“, der mit einem Begrüßungskomitee den Sonderzug empfangen hatte. Voraussetzungen fehlen Für eine schnelle Verbindung fehlen derzeit aber die Voraussetzungen: Auf der Strecke zwischen Kohlberg (Węgliniec) und Görlitz gibt es keine Oberleitungen – hier hat eine elektrische Lok keine Chance. „Die meisten Fernzüge fahren heute elektrisch, sie sind weniger fehleranfällig, haben eine bessere Beschleunigung, mehr Leistung, und sind sauberer“, erklärt Schienenbauingenieur Felix Bartels von der Initiative deutsch-polnischer Schienenpersonenverkehr, die ebenfalls bei der Sonderfahrt dabei war. Pendler haben nichts zu lachen Der Streckenausbau werde für 2018/19 angestrebt, erste Züge könnten allerdings erst 2020 rollen, sagte Geisel. Für Pendler zwischen Berlin und Breslau bedeutet das vorerst erneut Umstieg in Posen (Poznań) mit mindestens einer Stunde Aufenthalt. Leichter pendelt es sich mittlerweile zwischen Breslau und Dresden über Görlitz - hier gibt es täglich bis zu drei Regionalexpress-Verbindungen. Traditionelle Fernzüge von Berlin und Dresden nach Breslau wurden im Jahr 2014 mit Verweis auf wirtschaftliche Gründe eingestellt. Marie Baumgarten |
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